Words of the prophet, written on a subway wall

 

 

 

 

..als ich neulich den obigen Wall Post auf dem Ring 2 in Hamburg Barmbek gewahrte, rief mir der Text ein paar alte Erinnerungen wach:

 

Es ist 1979 und ich stehe als soeben Vorstufenschüler Gewordener zum ersten Mal im Aufenthaltsraum der Oberstufenjahrgänge, das ist damals eine Pavillonhälfte hinter dem Schulhaupthaus, dem Dulsberg Park der Freizeit nun näher als in Jahren davor und dort eintretend lese ich an eine Wand geschrieben: LIEBEN, LEBEN, LACHEN; NEBENBEI DAS ABI MACHEN!

 

Es ist 1980 und ich stehe im Wohnraum eines Musiklehrers, Birkenstocktyp mit Wuschelkopf, der uns, seinem Chorprojekt ein Haus und Gartenfest gibt, sehe da über seinem Klavier gerahmt: ICH WILL JEDEM TAG DIE CHANCE GEBEN, DASS ER ZUM SCHÖNSTEN MEINES LEBENS WIRD!!

 

Es ist 1981 und ich stehe in der ersten WG aus unserem Jahrgang an einer Stelle, wo Nikolas zwei alte schwarz-weiß Portraitfotos von Bob Dylan hingehängt hat und einen Text, der aus einem Dylan Song stammen könnte, aber vielleicht dichtet Nikolas auch heimlich..: ASSHOLE, TO SEE YOUR ASSHOLE TO CREEP INTO!!!

 

Es ist 1986 und ich lese auf die Kork Pinwand meiner Untermieterin gesteckt: WER KEINEN MUT HAT ZUM TRÄUMEN, HAT KEINE KRAFT ZUM KÄMPFEN!!!

 

Das ließe sich jetzt noch beliebig lang um Beispiele fortsetzen, auch wenn es ihrer weniger geworden scheinen in den Jahren oder sie gleich auf Postkarten, deren Motive sie nun unterschreiben an den Kühlschrank gepinnt sind oder über das eigene Bett, doch schon bei diesen vier Beispielen frage ich mich, ob da heute immer noch geträumt wird oder wie weit man inzwischen selbst vorangekommen ist mit Kriechen und jedem neuen Tag eine Chance zu Schönstem zu geben in einem weiteren Lockdown und seinen Impfverzögerungen und mit Unterricht von zu Hause, wenn er da überhaupt noch aktiv ist und die Birkenstocks vielleicht längst durch Thrombosestrümpfe ersetzt sind oder ob es wirklich Lieben, Leben, Lachen in der Erinnerung der anderen gewesen ist, neben dem sie damals ihr Abi gemacht haben?

 

Ich wäre dem Menschen, der uns den obigen Wall Post in Barmbek geschenkt hat, gerne begegnet und nicht im Auftrag vom Ordnungsamt, vielleicht war er wie jener Jesus Typ, von dem ich schon erzählt habe, morgens im Stadtpark, den ich da versäumt habe zu fragen: Was stimmt nicht in meinem Leben?

Doch wie über seine unerwartete Wiederkehr am nächsten Tag dann auch von keiner Tageszeitung berichtet wurde, ließ ich mein Moos der Zeit darüber wachsen.

 

Und doch möchte ich hier behaupten, dass es Menschen unter uns gibt, die unser Leben zum Besseren beeinflussen können, wenn wir ihnen begegnen.

Und auch anderes, das nicht als ein Mensch daher kommt.

Wenn auch nicht als ein Reptiloid oder der Terminator.

 

Möglicherweise ist euch das vielleicht längst geschehen, so einem Menschen begegnet zu sein oder diesem Etwas, doch bleiben wir hier beim Ersteren, ist es für euch absolut ausgeschlossen, dass es in eurem Leben nie einen solchen Menschen gegeben hat?

 

Gut, wir sprechen vom Besseren und gewiss lässt sich dazu streiten, worin es sich zeigt, aber es ist zum Beispiel schon durch unsere viel zu früh erfolgte Geburt (als Folge, dass das aufrechte Gehen unserer Mütter ihr Becken verengt hat) in uns angelegt, dass wir im Außen nachreifen müssen und uns also am sich allmählich entschleiernden Spiegel des Äußeren entwickeln, beobachten da aufmerksam die Mimik der Personen, auf die wir als Rudel oder Herdentiere geprägt sind durch Generationen der Entwicklung, akzeptieren den Fernseher als Anführer, weil vor dem sogar Mama und Papa still sind und wenn etwas an uns hochkrabbelt, dann wollen wir erst mal wissen, wie Mama oder Papa das beurteilen oder Geschwister, wenn man schon empfänglich für die ist und kreischt es da oder kotzt gleich los, ist es eher unwahrscheinlich, dass wir zu dem, was da an uns hoch krabbelt jemals eine liebevolle Beziehung eingehen werden.

Obwohl auch das möglich ist, hätte mir der Jesus im Stadtpark vielleicht offenbart.

(es wurde aber nicht von ihm berichtet, wie gesagt)

 

Jedenfalls, wenn es wirklich die Ehrschuld jenes Autors an das Leben ist, das Leuchten seiner Augen zu zulassen, hat er entweder die richtigen Einflüsse darin gehabt, wie sie etwa Erich Kästner in Als ich ein kleiner Junge war beschreibt und Astrid Lindgren sie zu Kinderträumen entfacht hat, oder er hat sich auf seinem Weg entwickelt als die Saulus zu Paulus Variante oder es war hier das nicht untypische Wechselspiel zwischen den Kreuzwegen und man hat es gelernt die guten Momente etwas mehr zu würdigen als die schlechten eilfertig zu beklagen.

Oder, als ein schlechter Kontrapunkt, der Verfasser ist nach dem zweiten Lockdown nun doch arbeitslos geworden und weil er ein Haus hat, das er bisher finanzieren konnte und seine Familie, schreibt jetzt also für einen staatlichen Dienst als ein Agent Provocateur, immerhin steht die Aussage da schon seit über einer Woche an der Wand, ohne dass die Stadtreinigung es wie üblich entfernt und wer könnte so etwas wohl beeinflussen als eine andere Behörde, Bill Gates?

..an ihren leuchtenden Augen sollt ihr sie erkennen.

 

Na, selbst wenn es so wäre, liebe Querdenkende, wäre es dann weniger wahr, was er da schreibt?

Was verschafft euch denn so ein Leuchten in den Augen?

Bevor ihr darüber nachdenken geht, noch eine Geschichte für den Weg,..

 

Ein junger Mann, das heißt, jung im eigentlich Sinn war er nicht mehr, eher im Alter von Robert Redford, George Clooney und Brad Pitt, als sich das für die vorteilhaft zeigte, was besagtem, jungen Mann nur anteilig gelungen sein dürfte, denn als ein Mensch mit Down Syndrom und sichtbaren Hygienemängeln unter seinen Fingernägeln mag sein Charme wohl Wurzeln in Herzen geschlagen haben, in seiner Gegend bekannt wie ein bunter Hund, feuchte Träume wird er einem dabei kaum gemacht haben.

(was man bei einem Jesus auch eher verneint, oder?)

 

Diesem Mann nun schien es das größte Glück zu sein, dass er sich an jedem seiner Tage eine Zeitschrift erwerben konnte, zu jener Zeit waren das die Regenbogen- oder Rotlicht Publikationen und wenn er an einem Sonntag kein Geld auf die Hand bekam, weil seine Taschengeldkasse nicht aufgefüllt war oder schon aufgebraucht, sah man ihn in den Papiercontainern des Stadtteils nach Zeitschriften suchen und was er am Abend nach Hause trug, hatte sich am Morgen in kleine Streifen verwandelt, die er nach den ihm eigenen Maßstäben aus den Seiten heraus riss.

Wir haben nie heraus gefunden, warum er das tat.

 

Wer sich hier nun fragt, inwiefern ein solcher Menschen einen selbst so zu beeinflussen vermag, wie man dies etwa bei Gandhi oder Nelson Mandela erwartet oder auch beim Dalai Lama, klar, dem sei gesagt, dass diese drei es bei mir nicht bewirkt hatten, was mir durch diesen Mann zuteilwurde, meinem wodurch-auch-immer initiierten NICHT GENUG Antreiber (als Gier geläufig) sein trojanisches Pferd in den Weg zu stellen.

 

Er machte sich nämlich an einem Sonntag auf mit den von mir gereichten 2€ und kehrte entgegen meiner Erwartung schon nach etwa eine Stunde zurück, zeigte mir stolz und mit den üblichen Meschafft, Meschafft Rufen freudestrahlend als erstes das Heft, dass er sich an einem Bahnhofskiosk gekauft hatte und dann als zweites sein Wechselgeld, Überbleibsel eines früheren Einkaufstrainings, dass er nun selten genug zurück brachte und ihr werdet nicht glauben, was ich da in seiner Hand blinken sah: Es war ein 50 Cent Stück mit der Metallprägung eines Euros, ein Fehldruck also, von denen man beizeiten gelesen hat, aber es kaum glauben möchte, sie dann wirklich mal in echt zu sehen, wie den Yeti und dann noch in der Hand eines Menschen, der sich für weniger als einen Topf mit Linsen dafür trennen wird, weil er noch nie davon gehört oder wahrgenommen hat, dass solche Fehldrucke überhaupt existieren könnten.

Und also auch nicht, welchen Wert er da mit sich herum trug, den Wert von hunderten seiner Zeitschriften.

 

Er war auch gleich einverstanden, dieses Geldstück mit einem neuen 2€ Stück aus meiner Tasche zu tauschen, sein Montag Kauferlebnis war also schon mal safe.

Und ich trug dieses Unikat nun den ganzen Rest meines Dienstes in der Tasche und fieberte schon dem Moment entgegen, wo ich es in Ruhe betrachten und im Internet nach seinem Wert suchen konnte (es mit dem Smartphone zu scannen und dank einer App danach suchen zu lassen, wäre erst ein paar Jahre später möglich gewesen).

Der Tag zog sich.

Die Spannung wuchs.

Zwischendurch Pläne, was sich mit dem Erlös anschaffen lassen würde.

Welch ein Tag…

 

Und dann kam die Nacht und die letzte Tür, die sich hinter meinem Grußwort schloss und ich war allein mit mir, der Münze und dem alten Computer, doch bevor der richtig hochgefahren war, realisierte ich plötzlich, dass sich auf der Münzvorderseite neben der 50 ein Halbmond zeigte. Das ließ mich doch stutzig werden und nach weiteren, prüfenden Blicken war es klar: Dieses Schwein von einem Kioskbetreiber hatte unseren lieben Tom um sein Wechselgeld betrogen, als er dem Arglosen eine Münze gab, die zu jener Zeit nicht mal einen Hundertstel Cent wert gewesen ist (und wer weiß, wie oft dies Menschen wie Tom geschieht in ihrem Alltag) und meine Empörung wollte sich gerade so richtig entfalten, als das trojanische Pferd sich auftat zur Feststellung, dass Tom zum jetzigen Zeitpunkt kein Betrogener mehr war, er im Gegenteil sogar einen beachtlichen Gewinn von 300 Prozent eingestrichen hatte, dank meiner Gier und dass der liebe Gott wohl einen ganz besonderen Humor haben muss, wenn er einem solche Situationen herbeiführt.

 

Wofür er aber schon einen wie Tom gebraucht.

Nur, falls ihr euch fragt, wieso er so etwas wie ein Down Syndrom überhaupt zulässt.

Und all das andere auch, klar.

Im Herbst 2019 ist Tom, dieser moderne Huckleberry Finn im Alter von 56 gestorben.

An seine Glücklichkeit beizeiten zu denken, lässt meine Augen immer noch leuchten.