Spieglein, Spieglein

 

 

 

 

Das Reich des Träumens hat seit jeher die Wachwelt beeinflusst und ist Gegenstand vieler Studien und Meinungen.

 

Es heißt, in unseren Träumen verarbeiten wir Erlebnisse oder Erlebnispartikel, die es in unserer Wachwelt nicht zu bewusstem Erleben gebracht haben als reale Geschichte. In der sich oft einiges von unserem eigentlichen Wollen ausdrückt, auch von unseren Sehnsüchten, eigenen Begierden und Ängsten, Schuld, kurzum allem.

 

Es braucht keine Verstiegenheit, im Träumen den Quell von Inspiration auszumachen, die schon einiges erschaffen hat, was uns heute Realität ist oder in ihr nachklingt, gelebte Geschichte. Paul McCartney zum Beispiel hat die Musik seines Yesterday geträumt. Es sollte zum am häufigsten gecoverten Lied der Pop Kultur avancieren, vor White Christmas.

 

Apropos, wir wären dann wohl wieder soweit…

 

Eine Geschichte, die vom Träumen handelt ist der Sandman Neil Gaimans, adaptiert aus dem DC Universum, in dem er es zu Zeiten, als ich Knirps noch gespannt Wochen oder Monatsausgaben von Comics gekauft habe, nicht nach Deutschland geschafft hat unter die Augen des kritischsten Publikums von allen, wie Stan Lee uns einst damit um den Bart gegangen ist, der Sandman daher unter meinem Radar Sand in Leseraugen streute und wie Gaiman das nun neu geschehen lässt ist ein Geniestreich, der wohl zum Besten gehört, was dieses Medium zu bieten hat und der, nebenbei als einzige Graphic Novel überhaupt einen World Fantasy Award gewonnen hat. Es braucht ja oft Referenzen der Art für einen ersten Griff und ich frage mich selbst oft genug, wieso ich diesen Hinweisen nicht schon viel früher gefolgt bin und nicht erst seit letztem Jahr? Aber besser spät als nie, mh? Es zeigt mir immerhin, das älter zu werden noch immer mit Überrascht- Sein einhergehen darf.

 

Was in der ansonsten stimmig komplexen Handlung des Sandman fehlt, trotz seiner Fülle kultureller Verweise, die ihn auch im Schulunterricht verwendbar macht in verschiedenen Disziplinen, im Englischen etwa, denn Shakespeare spielt darin auch eine bedeutsame Rolle und spricht sie in der Originalfassung wohl auch in seinem alten Englisch, worauf Gaiman also keinen Fokus im Rahmen seines Handlungsgeflechtes legt, sind die stets am Ende des Jahres wiederkehrenden 12 Nächte, in denen das alte Mondjahr mit seinen 354 Tagen das Sonnenjahr wieder einholt und für einen Zeitraum von 11 Tagen Begegnungen aller Art ermöglicht, zumeist während der Nächte, in Träumen, in denen wir aufs neue Jahr blicken können, einen Monat um den anderen.

 

Doch weil die Art, wie wir träumen auch davon beeinflusst wird, wie wir uns ernähren und auf diese 12 Nächte vorbereiten, wenn wir das überhaupt tun (und wahrscheinlich tun wir es nicht), lohnt ein Blick zurück auf alte Zeiten, in denen die Bedeutung dieser 12 Heiligen Nächte, wie sie heute vielerorts noch heißen und ihrer energetische Folgen (der Sonnenwende) wegen einst zu Kultur wurden: Bei den Kelten war das, aber es mag auch noch weiter zurück reichen in unbekannte Geschichte.

 

Die Kelten waren ein sehr dynamisches Volk, zur Anpassung und Modifizierung ihrer eigener Weltvorstellung fähiger, als es heute eine Reihe von Religionen sind, die eher losgehen und andere dafür leiden lassen, nicht wie sie selbst zu glauben, leider.

 

Andererseits war die keltische Geisteswelt ein Hort so hohen Wissens, dass moderne Wissenschaft es uns zum Teil immer noch nicht erklären kann, wie dieses Wissen wohl erlangt wurde, so ganz ohne Tierversuche und ohne Haftungsansprüche, kurzum auf Wegen, in der die Gewissenhaftigkeit noch eine treibende Tugend gewesen ist.

 

Heute, wo wir zusammen kommen, wie einst die Kelten, nimmt mancher von uns leicht 3 Kilo und mehr dabei zu an jedem der Festtage und wir fragen uns danach, wie wir das wieder geschafft haben, was bestimmt nicht wenige sich auch schon vorher fragen, etwa mit wem es wohl wieder mal Streit geben wird und worüber und das man manchmal lieber ganz woanders wäre oder dass es was wie Corona im Land bräuchte, denn dann hätte man einen Grund, dem fernzubleiben.

 

Die gute Nachricht ist, Leute, es gibt grad Corona im Land.

 

Die schlechte Nachricht bleibt, wir haben uns schon vor Corona nicht wirklich bewusst mit dieser Zeit beschäftigt, nicht wie die Kelten jedenfalls. Wahrscheinlich wissen die meisten nicht mal davon, dass man das überhaupt tun könnte und warum.

 

Eine weitere gute Nachricht ist, dass in diesem Jahr die Bedingungen besser wären als in allen Jahren davor, seit Chronisten sie erzählen, wo wir eh so beschränkt zusammen kommen dürfen, ist es nun ein viel kleinerer Schritt zu einer spirituellen Weihnacht, was dies Fest ja eigentlich sein sollte, aber der Begriff der Spiritualität hat derzeit einen schlechten Leumund, gerät mehr und mehr in die Nähe der Querdenker und wo die sind, sind Reichsbürger und Nazis nah, selbst als weißer Spiritueller lässt sich da kaum noch wertfrei auftreten, aber das ist ein anderes Thema, vielleicht beim nächsten Mal..

 

Unter dem Einfluss einer weiteren schlechten Nachricht dürfte das aber ohnehin kaum wahrgenommen werden, denn wie uns die verflixte Pandemie schon den Osterbraten beschränkt teilen lassen hat oder ihn gänzlich verschont und auch unsere Kater nach Walpurgisnacht und Himmelfahrt weitgehend kastriert oder verhindert wurden (wie ja auch manch unwillkommene Rede zum Einheitstag oder zum 9. November), steht jetzt auch noch Weihnachten zur Disposition, das bedeutendste unserer Jahresfeste.

 

Nicht einmal 1944, hörte es, also kurz vor knapp, dass es endlich vorbei war mit dem Nationalsozialismus, hat man Weihnachten so beschränkt verbringen müssen wie in diesem Jahr. Jedenfalls habe ich in den 54 Jahren meines mehr oder weniger bewussten Beschäftigens mit dieser Zeit nie davon sprechen gehört oder davon gelesen, dass Weihnachten damals ausgefallen wäre (aber ich hatte damals auch nicht erwartet, dass die Erstausstrahlung von Holocaust ein so großes Überrascht- Sein zur Folge haben würde, wie sich da gezeigt hat. Ich hatte doch tatsächlich angenommen, das wüsste ja wohl jeder, was da los gewesen ist, oh selig, oh selig, ein Kind noch zu sein..).

 

Und während damals eine Stimme im Rundfunk noch vom Endsieg polterte, der sich über alle gegenwärtigen Entbehrungen hinaus doch entfalte würde, sagt es uns heute eine Stimme im Fernsehen mehr oder weniger deutlich, dass man doch einmal fünfe gerade sein lassen könne, was die Anzahl der sich begegnenden Haushalte angeht, in ihrem Minimum natürlich, und wo es zum Vergleich eigentlich noch diese scharf- zackige Stimme im Volksempfänger bräuchte, die auch den Knappen von Schalke noch einen europäischen Startplatz zum Saisonende beschwört oder dem HSV noch den Bundesliga Aufstieg, nein, nein, stattdessen beginnt ja jetzt bald das Impfen und im Herbst auch soll gewählt werden, da geht dann wieder alles, außer Mutti, das heißt, die geht dann auch, aber in den Ruhestand...

 

..und damals war auch mehr Lametta, wie wir heute gern darüber lachen.

 

Gelangt man im Träumen eigentlich je an Orte oder Momente zurück, wo man schon mal gewesen ist, im gleichen Traum? Ich weiß nicht, ob man sich bei den Kelten Gedanken darüber gemacht hat und ob es irgendwo in ihren Symbolen auftaucht. Schriftliches haben sie uns ja nicht hinterlassen, nur ihr Brauchtum. Und zu dem gehörte es, um den Faden hier wieder aufzunehmen, in diesen 12 Heiligen Nächten, den Rauhnächten, wie die Kelten sie wohl genannt haben (es ist dies in mancher ihrer Siedlungsregionen immer noch der gebräuchliche Name) aufmerksam zu sein, auch im Üben der Bräuche, von denen manche in der Gegenwart immer noch praktiziert werden, Gold und Silber in den Christbäumen hängt, Weihrauch kaum einmal oder gar Myrrhe, seltsam genug bei einem so benannten Baum, jedenfalls wurde sich da auf diese Nächte vorbereitet, denn es galt ungünstige Einflüsse von oben (der Hexenregion) wie auch von unten (der Region von Tod und Teufel) in diesen Nächten zu erwarten im Fahrwasser der eben erfolgten Sonnenwende und ob es so welche denn wirklich gibt, müssten Geowissenschaftler oder Astrophysiker uns sagen können, ob Veränderungen des Magnetfeldes sich danach einstellen, die von sensiblen Naturen wahrgenommen werden wie von einem Messgerät.

In der Tierwelt bemerkt man solche Feinsinnigkeit oft vor bevorstehenden Umwälzungen.

 

Was den Herren des Traumreiches, Dream  (für andere Morpheus) als einer der Ewigen, älter als die Götter, was ihn antreibt, versteht Gaiman über seinen Handlungsbogen so komplex, bewegend zu erzählen, dass allein seine Vorwortschreiber als Who is Who eigentlich eine sichere Bürgschaft sind, ihn sich anzuschauen und es selbst zu erleben, wach träumen zu können in den besten Momenten der Handlung.

 

Doch von den 12 Nächten, wie gesagt, handelt das Werk höchstens am Rand, sie hätten ein Weihnachtsgeschenk von Dream an Träumende sein können, aber es fand sich vielleicht kein geeigneter Kontext dafür in der Rahmenhandlung.

 

Ich werde Gaiman danach fragen, falls ich ihm mal begegne.

 

Worum es in den Rauhnächten nun geht, bzw. auch geht, bzw. gehen könnte, um hier die Heilige Dreifaltigkeit mit ins Spiel zu bringen, die auch den Kelten schon bekannt war, ist es, in diesen Nächten sich dem Träumen bewusst zu öffnen, es als etwas Gestaltendes wahrzunehmen, wohin das kommende Jahr ausschwingen wird, wie sich in Träumen zeigen kann, nicht selten chaotisch und in ganz eigener Logik, aber mit jener Substanz, aus der McCartney zu Yesterday gekommen ist oder Billy Wilder zu seiner definitiven Komödie (Boy meets Girl las er am Morgen auf den Zettel gekritzelt).

Es mag sein, dass dem Zufall hier eine Rolle zugeschrieben wird, schließlich träumen selbst die kreativsten Köpfe nicht in jeder ihrer Nächte ein Weißes Album zusammen oder von Schindlers Liste, aber es ist eines der ungeschriebenen Gesetze dessen, was Aleister Crowley Magick nannte als willentliche Veränderung des Denkens, zu zulassen und der heilige Franziskus als Entbrenne im Gebet postulierte:

 

Wenn wir mit Hingabe zu Werke gehen, schlägt sich das auch in Ergebnissen nieder.

 

Um dem ein Beispiel zu geben: Es ist in diesem Jahr nicht nur ein Jahrzehnt vergangen, in dem ich meinem lieben Müller begegnete. Es ist zugleich schon ein Jahrzehnt her, dass wir in weißer Weihnachtswelt spazieren gingen. Und dass das möglich war, hat eine Geschichte…

 

Meine mittlere Tochter hat nämlich zur Sonnenwende Geburtstag. Allerdings nicht immer, weil ein Geburtstag Datumsgebunden bleibt, aber zur Zeit ihrer Geburt war sie das erste Mehr an Licht im Leben unserer Familie in jenem Winter, in dem ebenfalls Schnee fiel und ich denke immer noch gern daran zurück und an all die Umstände, das Tief mit Blitzeis, dass ihrer Geburt voran ging und in der Zeitung den Namen ihres Bruders trug, ausgerechnet, ein Laurin, von dem meine liebe Frau bei seiner Geburt nicht mal gewusst hatte, dass es den Namen gibt, aber wie es eben läuft im Leben, ist der ihm auf den Leib geschrieben.

Die Tochter jedenfalls wünschte sich für die Ausrichtung des 9. Geburtstags vor allem Schneefall. Und weil es mit dem schon in den Weihnachtsfesten davor meist knapp oder gar nicht zuwege gekommen war, ging sie in diesem Jahr auf Nummer sicher, bzw. meinte es zu tun, bzw. nahm ich das so wahr und sie begann jeden Tag auf dem Klavier Schneeflöckchen, Weißröckchen zu spielen, schon im November und als ihr Spiel sicherer wurde, begann sie mitzusingen und wenn ich mal zuhause war und das hörte, davor oder daneben, rührte mich dieses durchdringend Naive so sehr an, gefolgt von einem tiefen Seufzen, eingedenk der gegebenen Wahrscheinlichkeiten und dass Kinder beizeiten lernen müssen, dass die Welt sich kaum um ihre Wünsche dreht.

 

Aber es dürfte wahrscheinlich viel von der inneren Haltung beschreiben, mit dem ein alter Kelte zu seiner Zeit in den Advent ging.

 

Was sollte nun am 21. 12. in der zwölften Stunde passieren?

Der Himmel öffnete sich und ließ dicke Schneeflocken zur Erde herab fallen, in denen dann ihre Schatzsuche im Wald stattfinden konnte.

 

Nicht viel anders, als mein Erleben am Strand von Amrum im folgenden Jahr (mit etwas weniger Zeit für mich, das vorzubereiten.

 

Dieses Erlebnis hat mich einiges gelehrt über die Macht von Hingabe, denn egal wir Wissenschaft dies erklärt, habe ich zumindest erleben dürfen, wie gewünschter Schnee zum Geburtstag fällt, nicht anders gerufen in seinem Wunschwillen, als Indigene für Regen tanzen. Gewusst wie…

 

Und was die nun kommenden 12 Nächte angeht, eure Nächte, wartet ein neues Jahr darauf, dass wir ihm eine bessere Gestalt geben als dem nun endenden.