Zwischenstand

 

 

 

 

 

 

 

 

Immer wenn ich angelegentlich an den beiden auf dem Foto vorbei komme, freut mich ihr Anblick als etwas verlässliches in unverlässlichen Zeiten.

 

Wir bewundern ja Persönlichkeiten der Zeitgeschichte dafür, dass ihnen scheinbar jede widrige Situation, in die sie gerieten, eine geistreiche Bemerkung entlocken konnte, von denen viele sich heute noch zitiert finden.

 

In einem früheren Essay, das heißt wohl in mehreren, habe ich darauf verwiesen, dass die historische Größe einer Persönlichkeit nicht mit dem gleichzusetzen ist, was uns als tolles Leben vorgeschwebt hat, als wir begannen, über so etwas nachzudenken.

 

Bei mir geschah das auf einem Parkplatz vor dem Haus eines Freundes, wo es damals noch keine Asphaltdecke hatte. In den lehmigen Untergrund waren bunte Glassplitter eingetreten, die meisten schon stumpf gerundet in den Jahren ihres Liegen, ließen sie sich ohne Verletzungsgefahr auf die Hand nehmen und betrachten wie ein Kronschatz oder ein Drachenhort und einmal, als ich das tat, fragte ich mich, wie wohl mein Leben später sein würde.

 

Habt ihr euch das nicht auch beizeiten mal gefragt, nachdem euch bewusst geworden war, dass es eine solche Zukunft nach morgen oder übermorgen geben würde für euch, eine, die weit in die Zeit hinaus reichte, bis zur eigenen Großvaterschaft?

 

Worauf ließe sich dann zurück blicken? Dass man nie zitiert wurde wegen irgendeiner angenommen Klugheit oder einer groben Beleidigung, die kein Chinese in 1000 Jahlen je vergessen wülde (und besser auch für ihn)?

 

Aber heißt das dann im Kontext, dass so ein eigenes Leben unter dem von Größen wie Mark Twain, Oscar Wilde oder Kurt Vonnegut zurück steht, nur weil es uns halt nicht gegeben war, die Bombardierung Dresdens in einem Schlachthofkeller mitzuerleben oder die eigene Verfolgung durch die Öffentlichkeit oder auch den erlebten Verlust der Freunde und Familienmitglieder, aller, wohlgemerkt.

 

Es gibt auch hierzu eine dieser alten Geschichten. Günther Grass hat aus ihr eines seiner größten Werke destilliert und es beginnen lassen mit Ilsebill salzte…

 

Ihr kennt das Märchen vom Fischer und seiner Frau, oder? Ich bin noch nie einem Menschen meines Alters begegnet, der es nicht kennt. Bei den jüngeren mag das nicht mehr so sein, Social Media Nebenwirkung und auch der Umstand, dass Kindern immer seltener vorgelesen oder erzählt wird.

 

„Lass es Siri machen, Schatz, jetzt kommt gleich der Wendler…“

 

Und nach dem Türschluss, doch noch mal kurz reingehört:

„..Siri, warum muss denn der Penis beim Mann so steif sein..?“

„Macht nicht zu lange, Kinder!“

 

..hätte Oskar Wilde an dieser Stelle vielleicht auch gesagt, hätte er, wie viele Menschen mit seinen Neigungen sich dann lieber in einen gesellschaftlichen Mantel gehüllt.

 

In der Geschichte jedenfalls, für die, die noch nie von ihr gehört haben und das bei Grass nicht nachholen wollen, geht es um zwei arme Fischersleute. Sie sind sogar so arm, dass sie nicht einmal Kinder haben.

 

„Siri, was sagt die Statistik über die Geburtenraten beim ärmsten Drittel der Weltbevölkerung.“

„..laut der letzten Evaluation der Weltgesundheitsorganisa..“

 

Lassen wir das.

 

Sie waren arm und wie es der Lauf der Geschichte wollte, fing der Mann bei einem Fischzug den lieben Herrgott selbst, der sich aus einer Laune oder einem tieferen Sinn als Butt im Meer getummelt hatte und dem Fischer für seine Freilassung einen Wunsch gewährte.

 

Es könnte sein, dass der Fischer heute ein Protestwähler wäre.

 

Der hier immerhin erst einmal heim damit ging, sich mit der Frau zu beraten, welcher Wunsch ihnen da erfüllt sein sollte.

 

„Ich will eine Nacht bei Deichmann eingeschlossen sein oder nein, lieber bei Görtz oder nein, geht auch die Boutique Bizarre ..?“

 

Um das Ganze zusammen zu fassen, bemerkt die Frau da schnell, dass sie mit dem erfüllten Wunsch nicht so glücklich wird, wie sie sich erhofft hat und schickt jedes Mal den Mann aufs Neue aus, Nachschlag mit dem Butt auszuhandeln unter einem sich immer dunkeldrohender zusammen dräuenden Himmel. Und nach Sissi sein und nach Päpstin kann es ja am Ende nur noch Gott selbst sein, zu dem man werden will und, wer hätte es nicht geahnt, findet man sich danach wieder in der zugig, verrauchten Fischer Kate am Meer und im alten Armutsgewand.

 

Manche interpretieren das wohl als gerechte Strafe für die Gier, die das Wünschen in der Frau entfacht und dass der Schuster sich freuen darf, dass er immerhin noch seinen Leisten besitzt.

 

Ich sehe dieses Ende eher als einen Augenöffner: Sie wurden da, was sie ohnehin die ganze Zeit schon waren. Und hätten vielleicht selbst mal bei Gott nachfragen können angesichts der guten Gelegenheit, wieso er sich da als Butt im kalten Wasser herum treibt, wenn er doch im Paradies sein könnte?

 

„Was wisst ihr über das Paradies, Kinder?“

„Siri, was wissen wir über das Paradies..?“

In der Fernsehserie, aus der später die Nackte Kanone entstand, die für mich immer noch ein positives Beispiel darstellt, wie sich Geschmacklosigkeit an ein großes Publikum bringen lässt, gibt es schon eine frühe Form von Siri oder Alexa und wie sie alle heißen, einen Schuhputzer, der auf jede Frage eine Antwort hat, die ihm einer stellt und angesichts der Extragelder, die er dafür einstreicht, der reichste Mensch in Los Angeles sein müsste, vielleicht Parodie auf Michel Milken, der im selben Zeitraum seinen Ruhm begründete und dessen Zinseszins wir immer noch zahlen, irgendwo.

Nun, mein lieber Kurt hat inzwischen damit aufgehört.

 

In seinem letzten Werk resümierte er zwischen den Zeilen und auch ganz offen, dass die Zeiten ihm nun immer schlechter gerieten in einem Land, in dem er mehr und mehr zu einem Mann ohne Land wurde, wie Steinbeck 40 Jahre zuvor auf seiner Reise mit Charlie, wie viele, die Zeiten durchlebt hatten, in der die Hoffnung auf ein besseres Morgen ihnen durchaus berechtigt erschien.

Von unseren Zeiten erwartet das eigentlich niemand mehr, oder?

 

Es soll allenfalls nicht ganz so schlecht werden, wie die Wissenschaft das jetzt immer behauptet. Und wenn doch, ist es euer Pech, wenn ihr zu den Schwachen gehört.

 

Also ich hab‘ mir mein Leben so nicht vorgestellt, als die bunten Splitter auf meiner Hand glänzten Und die Gelegenheit, Gott selbst zu fragen, hab ich mir auch entgehen lassen, als er mir einst früh morgens nach einer Nachtschicht im einsamen Stadtpark begegnete, mich heran winkte und dann mit einem breiten Lächeln sagte:

 

"Du, ich wollte Dir nur sagen, ich bin Jesus."

 

Hand aufs Herz Leute, hättet ihr diese Gelegenheit genutzt, statt zu sehen, schnell von da weg zu kommen, so ganz allein am Platz?

 

Doch wenn ich bei den beiden vor der Garage vorbeikomme, scheinen sie mir da auch etwas mit auf den Weg geben zu wollen.

 

Heute hab‘ ich vom Wendler gelesen und seinem mediogänen Gebamsel mit seiner Laura (oder Luisa?), das ihn bislang besser durch Corona gebracht hat als viele seiner Kolleg*innen, mit einem absehbaren Ende, zumal er jetzt in Amerika bleiben will, wie er verkündet, weil sich die Dinge hier zu einer Corona bedingten Diktatur entwickeln, in der die freiheitlich demokratische Grundordnung bald nur noch eine Erinnerung sein wird, ganz wie sein letzter Hit - falls er mal einen hatte (ich kenne ihn jedenfalls nicht, da ich Mallorca nie bereist habe).

 

Politisierende Forschung sieht darin eine Gefahr, weil er als eine öffentliche Person Volkes Meinung beeinflusst, wo diesem ohnehin ein Vertrauensverlust gegenüber der Forschung und Politik zugesprochen wird, der einen angemessenen Umgang mit der Pandemie erschwert. Also abgesehen davon, dass die Politik in den letzten 30 Jahren wirklich genug dafür getan hat, Vertrauen zu ernüchtern, ist es natürlich schon eine Ironie und ich frage mich, wie der alte Kurt dies erlebt hätte, dass nun nicht mehr die an Leib und Leben durch ein brutales Regime Bedrohten in das sicherere Ausland ausweichen, sondern solche, die hier bestmöglich und sozial abgesichert behandelt würden im Fall einer Infektion durch Covid 19, an die ja aber nicht geglaubt wird, allenfalls als politischer Schachzug, uns alle zu entmündigen.

 

Dann mal willkommen in Amerika, lieber Wendler.

Aber sucht euch für Quickies lieber keine öffentlichen Tankstellen.

 

Schon gar nicht in Bundesstaaten, die gerade einen Sänger für ihre Gefängnisband brauchen, weil der letzte grad an Corona verstorben ist…