Bookends

 

 

 

 

 

Hallo, mein Alter, sei mir herzlich gegrüßt am Tag, der unser aller Leben so verändert hat auf die eine oder andere Weise.

 

Weißt Du noch, wo Du damals warst? Ich stand mit der ganzen Familie in der Elektroabteilung von Karstadt Wandsbek und auf allen Fernsehern lief das gleiche Bild: der einsam vor sich hin rauchende Nordturm und die Fassungslosigkeit des Sprechers über den grad erfolgten Einsturz seines nachbarschaftlichen Zwillings.

 

Du hast in deiner letzten Mail auch wegen Birgit Musterfrau angefragt. Ich habe sie beinah gleichlautend wie in Deinen Links gefunden, vielleicht waren es sogar die gleichen Quellen, als ich sie vor einem Jahr oder länger selbst mal gesucht habe aus einer Laune heraus und mit wohl ähnlicher Intention wie bei Dir, was ist nur aus den ganzen vielen Leuten meines Lebens geworden?

 

Tja, ob sich die NSA hier hilfreich zeigen könnte.., nach allem, was wir inzwischen wissen?

 

Und unsere Musterfrau findet sich da ja wenigstens, im Gegensatz zu den vielen, vielen anderen, für die ich gleichwohl keinen Detektiv beauftragen würde, sie mir heute zu suchen, dann schon eher, ob unsere liebe Biggi wohl noch Mitglied eines Swingerclubs geworden ist, was meinst Du? Also mir sieht sie eher nicht danach aus auf den Fotos, aber wie wir wissen, können Menschen einen überraschen. Ist nur meine Meinung. Trotzdem...

 

Außerdem dürfte das wohl auf viele zutreffen, vor denen die Zeit nicht stehen geblieben ist, nicht zuletzt uns beiden, wie sich ja vor Zeiten auf dem Geburtstagstreffen bei Steffi gezeigt hat. Und wo wir auch irgendwie noch mit dazu gehören wollten, selbst wenn wir das gern bestreiten als ewig Kind sein Wollende oder Mofa Halbstarke wie Gurke oder als der ewiger Partisan an allem, Slobodan Wilnic, dem sollte vielleicht mal als ein Orden gestiftet werden, der sich an ausgewählte eigenbrödlerische Preisträger verleihen ließe, so richtig als Event mit Pressefoto und auch mit Gratis-Presseflaschen…

 

„..hier nix Gratisflasch!“

 

Na, der alte Witt hätte den Mann schon überzeugt. Und er hätte es genossen, bin ich überzeugt.

 

Aber hätten wir heute noch den Willen, das wieder aufleben zu lassen?

 

Ich nicht. Hatte ich damals schon nicht.

 

Ich meine, ich weiß, welch schelmische Klugheit sich darin zeigt, dass man den 90sten Geburtstag des eigenen Vaters nicht als dessen Diener und über dem Fell eines Landsers samt Pickelhaube feiert, sondern mit echten, lebendigen Gästen, auch wenn die zu einem ganz anderen Anlass erschienen sind, bei Witt war das ein 10jähriges Bestehen von Repro Lüdke, oder, eine Firma die heute ebenso vergessen ist, wie unser gemeinsames Leben, Chapeau, lieber Witt, das soll Dir mal einer nachmachen, aber heute, wo ich Dich anlässlich immer wieder bemerken höre, dass mein Leben ja nicht allzu viel Spaß machen tut, wie es sich Dir immer noch zeigt und Du mich im Stillen vielleicht eh schon zu den anderen zählst, bleibst am Schluss doch sowieso nur noch Du übrig, dank Deiner Wundermittel...

 

Mit wem wirst Du Dich dann eigentlich noch amüsieren, sag?

 

Eben.

 

Und wenn Du das mit Dir selbst zur Genüge tun kannst, gibt es doch gar keinen Grund, auf meine freie Zeit zu warten, sondern schon mal damit anzufangen, wie es sich Dir einstellt und auch, wenn sich mal anders einstellt, vielleicht als ein Einkauf um den Barmbeker Bahnhof herum, an einem Mittwoch, besser noch am Donnerstag, dann ist das Wochenende schon nah und am Freitag hält man es eher locker mit spontanen Krankmeldungen, würdest Du vielleicht wissen, wenn Du im Arbeitsleben stündest wie unsereiner oder im Stau einer Autobahn, weil wieder nur einer von denen überhaupt was tut mit seinem Bagger, während der Rest beisammen steht und sich da wohl in gelerntem Deutsch abfragt für die späteren Gehaltsnachverhandlungen, wer kann es schon sagen und der Mensch, der ich heute bin, würde sicher eine Menge in seinem Leben nun anders machen und hoffentlich zum Besseren und vielleicht tut er das ja auch in einem parallelen Universum oder hat es da getan und hat es in jenem Leben nicht nur aus einer Ecke tönen hören, dass er das besser gelassen hätte oder ist gelassen geblieben und bereit, andere ihre Dinge einfach klären zu lassen, auf dem Pfad zu sein, wie das einmal hieß in Ost und West und wir in Kung Fu im Fernsehen geschaut haben.

 

Vielleicht macht es das am Ende aus, Alter, dass nämlich nicht nur von uns zu entscheiden ist, welcher Seele, ach, in unserer Brust wir uns endgültig zu neigen.

 

Wir können auch anderen darin helfen, dass zu entscheiden und sei es, ihnen ein Beispiel darin zu geben.

 

Wir können sogar frühere Entscheide von uns aufheben und das macht uns letztlich nicht zu Loosern oder ärmer, sondern nein, es macht uns klüger, laut Rutger Bregman und bringt uns auch viel näher zu anderen, mit denen wir dann im Vertrauen aneinander es immer weiter lernen können, wie wir unsere Möglichkeiten so einsetzen, dass der globale Schaden, den unsere Spezies anrichtet, sich mehr und mehr reduziert und lernen dabei vielleicht auch, echte Opfer von anderen anzunehmen oder geben sie selbst, wenn die Zeit danach ruft.

 

..aber wir sind grad vom Einkaufen Gehen abgekommen, Alter und wenn Du es denn mal versuchst, wirst Du feststellen, dass Du da in Barmbek und um den Bahnhof herum einem Wilden Leben begegnest, von denen wir in den 80er Jahren nur geträumt haben, weil man uns Bilder davon auf unsere Kinoleinwände zauberte, denk an Nikita, also die wird hier sehr oft und vielschichtig zitiert, finde ich, immer wieder interessant anzuschauen, meinen Erfahrungen nach, wenn ich dort umgehe und das weitere liegt ohnehin in Deiner Hand, biete etwa der Frau, die ab 16 Uhr an Kasse 2 sitzt ein attraktiveres Arbeiten an, Dich lieber zu begleiten auf kulturelle Anlässe, wo Du angeblich Geschäfte einwirbst, dann aber so wirst wie auf der Geburtstagsfeier von Witts Vaters und alles weitere zeigt sich, ob ihr so was gefällt und wenn nicht, es gibt dort viele Märkte und Kassen und man kann sich in Fachabteilungen als der Berater für Katzenfutter präsentieren, schmeckt eigentlich mit allem, hat man selbst eine Weile damit aushalten müssen bis zum nächsten Ersten in den schlechten, alten Zeiten, aber jetzt wo das Methadonprogramm anschlägt und sogar der Bewährungshelfer vorsichtig optimistisch ist, was der psychologische Gutachter ja von Anfang an war (der zum Beweis und auch um seinen Berufsstand zu reputieren das im ersten Monat und ohne Honorar begleitet vor einer Kamera, demnächst im Fernsehen zu schauen auf VOPS, also so einen Charakter gäbe ich Dir gerne mal und würde an der Stelle dann einschreiten mit Genug für heute, gut gemacht, Igor und morgen geht es dann an die Fleischer Theke…und die Kamera kann uns da ja Gurke halten, wenn wir ihn fragen und ihn vorher vom Trinken fernhalten).

 

..ooh, ich ahne, es läge noch mancher Spaß in unserer Gemeinschaft.

 

Aber deswegen hattest Du mir nicht geschrieben, oder?

 

             ..was ist aus ihnen geworden?

 

Tja, jeder wird sich wohl erst mal einen Plan gemacht haben.

 

Und den dann immer wieder geändert haben müssen in unterschiedlichen Graden der Anstrengung, die einen so was in fortschreitendem Alter kostet.

 

Oder sich dem zunehmend verweigert, bis zum Unterliegen, ohne einen versuchten Gegenentwurf.

 

Irgendwo steckt das alles auch in uns als Möglichkeit, was andere für sich erleben oder tun können.

 

Weil ihr Beispiel ja dafür bürgt, dass es möglich ist.

 

Wie der Pyramidenbau.

 

Auch wenn da scheinbar niemand genau weiß, wie.

 

Und noch weniger warum.

 

Aber auch das haben wir erschöpfend diskutiert, in mehr als einer verbrachten Nacht.

 

Aber andere haben das noch nicht.

 

Das wilde, unbekannte Leben, es wartet noch immer irgendwo da draußen, Alter! Raumschiff Enterprise ist sogar hingeflogen. Und selbst der liebe Picard hat es wie wir gewusst, dass, wenn‘s mal dumm läuft für ihn, der Raum um seinen Arbeitsplatz herum lebensfeindlich beschaffen ist. Was für unsere Spezies in Teilen wohl ebenfalls gilt.

 

Und jeder hat auch hier seinen Weg damit, dem Macht zu geben.

 

Und jeder auch unterschiedlich eilig damit.

 

Und unterschiedlich ist auch der Umstand, in dem sich das mal erschöpft.

 

Und Viel Feind, viel Ehr! klingt, gemessen an Deinem Empfinden meinem Leben gegenüber für mich noch anstrengender, weil es die schelmischen Seiten des Lebens nicht als Alternative sieht.

 

Vielleicht haben die leitenden Wesenheiten der Welt (die in diesen Breiten teutonisch geprägt sein dürften) so etwas im Sinn gehabt, der Insel der Deutschen, unserem blutroten Helgoland ein eigenes Mount Rushmore einzuschreiben und das ohne teure Arbeitsbeschaffungsprogramme, gibt es hier eh viel gemütlicher, hat sich mir dort neulich im roten Fels gezeigt, schau es Dir im Foto oben an, links der alte Hagen von Tronje im Grimm erstarrt und rechts neben ihm Till Eugenspiegel (die Kappe wird ihm vielleicht noch nachgereicht), der sich schon auf den Moment freut, wo Hagen entdeckt, dass er bloß ein Gummischwert aus der Scheide gezogen hat…

 

Die Zwei verdienen einander, wie ich das sehe.  

 

Und genau so ist das auch mit uns.

 

grüßt Dich einstweilen Dein alter Jugendfreund