Ein Trauerspiel

 

 

 

 

Wie das Aufregen um Covid 19 allmählich zu einer Alltagsimmunisierung geführt hat, zeigen sich andere gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart nach und nach in ihrem alten Unbehagen.

 

Hier scheint unser Leben mitunter die Kunst zu imitieren.

 

Hat es uns vor 13 Jahren nicht landauf, landab genussvoll im Nacken gekitzelt, über das Wiederkehren von Lord Voldemort zu lesen und was das für die Welt von Harry Potter bedeutete? Ich verschlang das letzte Buch in einer einzigen Nacht und ich war  bestimmt nicht der einzige.

 

Noch im Februar hat die hiesige Realität den Angriff einer kaum kleineren Bedrohung aus unserer eigenen Vergangenheit erleben müssen auf die inzwischen etablierte und dabei träge gewordene freiheitlich-demokratische Grundordnung, nachdem es auch schon davor Beispiele genug gegeben hatte, mehr, als sich hier exemplarisch anführen ließe, Alltag eben. Und doch steht Hanau nun für die Gewissheit, dass niemand von uns mehr sicher ist, denn ein Attentäter dieser Art wird nicht erst nach Ahnenpässen fragen, in Zeiten von Haarfärbung und künstlichen Linsen.

 

Die große Bedrohung, die hier aufzieht, bezieht ihre Inspiration und Kraft natürlich nicht aus der Magie, doch ihre Quellen sind den Horkruxen Voldemorts durchaus geistesverwandt.

 

Eine dieser Quellen ist das wohl nie versiegte Gefühl unserer eigenen Großartigkeit, gegen das sich selbst das Knoop TV eher wie ein pinkelnder Hund ausnimmt. Na bitte, selbst das Wunder von Bern versucht er einem madig zu machen mit Spekulationen über Puskas Nicht-Abseitsstellung beim 3:3 oder dem geheimnisvollen Vitamin Cocktail, der unseren Helden vorab gespritzt wurde (für den vor dem Endspiel einsetzenden Regen, das Fritz Walter Wetter hat es allerdings keine Erklärung gegeben, vielleicht bleibt der uns dann als Wunder von Bern, immerhin).

 

Ein anderer Horkrux findet sich im 1.Mai (siehe Zum Tag der Freiheit), den wir trotz des Dritten Reiches weiter in der Gegenwart genießen wollen.

 

Eine noch bedeutsamere Quelle jedoch und als solche kaum je bemerkt findet sich in den hiesigen Gedenkstätten zu Weltkriegen und Drittem Reich. Ein ‚Mahnmal der Schande‘ hat einer der leitenden Träger des altgestrigen Denkens so eine mal benannt (und wir wissen natürlich, welche er da meint und können es nur vermuten, wie er über diesen 8. Mai denkt, wenn er sich unter Gleichgesinnten weiß).

 

Doch ich teile sein Empfinden durchaus.

 

Wenn auch für den weit größeren Teil dieser Gedenkstätten.

 

Wer als Tourist das schöne Hamburg bereist, kommt auf dem ‚Must See‘ Rathausplatz kaum umhin, eine riesige Stele zu gewahren, die zur Alster hin sich aus einem der Fleete in den Himmel erhebt. „40000 Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch“ heißt es da und obwohl sie des Ersten Weltkrieges gedenkt und der Verlust von Söhnen, Brüdern, Vätern, Verlobten, Ehemännern und ziemlich bester Freunde zweifellos des Trauerns wert ist, verbirgt sich hier und auch anderswo, wo es kündet, dass für Uns gestorben wurde eine wesentliche und dennoch einfache Frage:

 

Für Uns, wirklich..?

 

Wer sich der Tatsache bewusst ist, dass, der britische Vickers Konzern in den Kriegs-jahren 1914-18 gewissenhaft Lizenzgebühren für selbstproduzierte Aufschlagzünder dem Krupp Konzern als dem Patenteigentümer überwies, kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen:

 

                Krieg ist Big Business. (fragt mal die Amerikaner nach Vietnam…)

 

Schönredner und Influencer hat es allezeit schon dafür gegeben („Majestät brauchen gewiss auch Ihren Platz an der Sonne..“ ) und mein Großvater, Hamburger auch er, hat für diesen Platz an der Sonne mit einem Durchschuss seiner Lunge bezahlt, dessen Folgen ihn bis zu seinem Tod 1962 begleiten sollten. Wie auch andere im Krieg erlittene Traumata, das Morden im Grabenkampf etwa, an Engländern ausgerechnet, die ihm zuvor zu Herzensfreunden geworden waren, als sie ihn bei Kriegsausbruch heimlich aus dem schottischen Hochland bis zur Kanalküste geleitend davor bewahrt hatten, als mutmaßlicher Hunnenspion gehängt zu werden, eine wahre Geschichte.

 

Und wenn es stimmt, was Epigenetik hier vermutet und die Bibel in Moses 2, 34/7 als Faktum kündet, hat mein Großvater die Traumata danach auch an seine Kinder und Enkelkinder weiterreichen können.

 

Hier sollte vielleicht erwähnt sein, dass der gegenwärtige Zuwachs an psychischen Erkrankungen allein innerhalb der Europäischen Union mittlerweile jeden vierten Bürger betrifft, auch sie unsere Brüder, Väter, Ehemänner, Verlobte, Freunde und dies natürlich in allen Geschlechtern, viel dramatischer als der Klimawandel, wenn es denn mal zur Kenntnis genommen würde.

 

40000 Söhne unserer Stadt indes haben ihre Traumata in der Mehrheit nie an einen Erben weitergeben können. Vielleicht sind sie die Glücklicheren, aber wie wir nun mal da sind, sollten wir dann nicht auch etwas daraus machen, dass es den eigenen Kindern und Kindeskindern erspart, dieses Leiden immer weiter zu wiederholen?

 

Wo junge Träger von ‚Adolf Hitler ist mein Idol‘ T-Shirts sich zeigen, liegt die Frage im Mund, ob da wirklich geglaubt wird, das persönliche Opfer würde diesem Führer mehr als einen trockenen kurz irgendwas bedeutet haben. „Dazu sind die jungen Leute doch da“ sagte der GRÖFAZ mal recht kaltschnäuzig, auf die hohen Verluste bei den mittleren Offiziersrängen hingewiesen. Doch glaubt man unseren Gedenkstätten, dann starben all  diese Toten für Uns und den immer noch gern zur Schau gestellten Stolz, Deutscher zu sein, was als Trotz gewordener Schmerz vom tiefen Ehrverlustes kündet, den diese Zeit uns als Erbe hinterlassen hat (immerhin, aufs Trotzen versteht sich das Deutsche seit jeher, hat es selbst seinem Wappentier in die Züge gelegt, wenn man es danach mal betrachtet, das Ehrenhafte selbst aberwitzig übersteigernd, eine ganze Welt zum Krieg heraus zu fordern, in dem ein Michael Wittmann auch zu einem Nachfolger von Hagen von Tronje avancieren konnte).

 

Wer daher in seinem Deutschsein von Ehre tönt, vergisst in der Regel, dass Ehr-e und Ehr-lichkeit eine Bedeutungswurzel teilen und er wird weiterhin vom Opfer- und/oder Heldentod lügen und lesen und heimlich räsonieren, dass beim nächsten Mal lieber erst England eingenommen wird, wir im Prinzip aber auf gutem Weg damit waren.

 

Solches Denken bezahlen stets andere, immer schon, mit ihrer Gesundheit, auch mit fehlender Lebenslust, nicht zuletzt auch an der Zuversicht, unmöglich Erscheinendes zu schaffen, manche zahlen inzwischen sogar mit ihrem Leben, wie jüngst in Hanau, um auf das Beispiel des Februars zurückzukommen.

 

Nein, nein, ihr geschätzt Lesende, Gedenkstätten könnten als Plätze des himmlischen Friedens gestaltet sein (wer sagt, dass wir nicht auch mal bei den Chinesen klauen dürfen, nachdem sie schon so vieles bei uns geklaut haben), ohne auf Bronzetafeln von Opfern und Heldentum zu fabulieren, einer ehrlichen Trauer Raum lassend, dass man geliebte Menschen an einen großen Irrtum verlor.

 

Solche Gedenkstätten könnten Uns auch erinnern, wer wir sein wollen und entzögen damit jenen einen Kraftquell, die am Stammtisch in der Holokaust Gedenkstätte in Berlin bloß einen Ausdruck deutscher Lebensart sehen.

 

Was Lord Voldemort gefallen täte, dem wir ansonsten allesamt nur Schlammblut sind, selbst diejenigen aus arischem Reinheitsangebot.